5 Tipps für kommunikationsstarke Hochsensible
Peinliche Flatulenz
Es war eine der unangenehmsten Situationen in meinem Berufsleben: Ein Tag vor Start der Branchen-Leitmesse. In der riesigen Messehalle spürte man das geschäftige Treiben der Arbeitenden. Die Angst vor nahenden Deadlines lag in der Luft. Man hörte eilige Schritte und Stimmen, die durch das verglaste Gebäude hallten. Hier und da ein Hämmern, Bohren oder Staubsaugen. Mein Gespräch war umso stiller. Das Treffen mit Mitarbeitern einer der wichtigsten Fachzeitschriften war – wie zu erwarten – ein absoluter Flop. Es bestand aus wenig Geplänkel und viel peinlicher Stille.
Der Journalist, der mir am Bistrotisch gegenübersaß war groß und schlaksig. Seine korpulente Statur, die tief unterm Bauch sitzende Anzughose, das lockere Hemd in Übergröße… er wirkte so, wie ich mir diese schmierigen Detektive in ordinären Krimis vorstelle. Sein Praktikant, der mit am Tisch saß, war so unscheinbar und desinteressiert, dass ich mich heute nicht mehr an ihn erinnern kann.
Ich war schlecht vorbereitet. Der Mediaplanung für das nächste Geschäftsjahr war schon vorab per E-Mail geklärt, ich hatte keine News mitgebracht, Gemeinsamkeiten gab es keine, Smalltalk kann ich nicht. Es war peinlich und völlig unnötig. Er wusste das vorher, sonst hätte er unseren Termin nicht auf einen Tag vor der Messe geschoben, damit er die wichtigen Ereignisse nicht verpasst. Als wir es geschafft hatten, den Termin für beendet zu erklären (und unausgesprochen für gescheitert), verließen wir gemeinsam die Halle. In dem Augenblick, in dem wir durch die Drehtür auf den Vorplatz traten, ließ der Journalist einen so lauten und langen Furz los, dass meine Überforderung ihren Höhepunkt erreichte. Wir verabschiedeten uns.
Heute frage ich mich, ob dieser Furz wohl der einzige konstante Gedanke war, den der Typ während unseres Gesprächs hatte.
Hochsensible und Smalltalk
Kommunikation ist mein Job. In meinen Ausbildungen und meinem Studium war es das zentrale Thema. Durch unzählige Kommunikationsseminare und Vertriebsschulungen hochrangiger Coaches habe ich immer wieder durchgekaut, wie Kommunikation funktioniert, welche Fehler man vermeidet und welche Taktiken man verfolgt. Bukowski, King und Goethe gehören zu meinen persönlichen Sprachgöttern. Ich kann Texte schreiben, ob für Fachzeitschriften, Flyer, Webseiten, Blogs oder Pressemitteilungen. Ich beherrsche die Kommunikation per E-Mail und habe kein Problem, zu telefonieren. Aber Smalltalk? Netzwerken? Das war jahrelang meine Achillesferse.
Als hochsensible Person scanne ich einen Raum, sobald ich ihn betrete. Das machen Normalsensible auch, mit dem Unterschied, dass ich keinen funktionierenden Spamfilter im Gehirn habe. Geräusche, Gerüche, Licht, Schatten, Personen, ihre Beziehungen untereinander, Wege, Notausgänge, Toiletten, Bar, Raumkonzept… es kommt alles geballt und ungefiltert in meinem Gehirn an und streitet um meine Aufmerksamkeit. Wenn ich eine Gruppe von Menschen sehe, fällt mir innerhalb von Sekunden auf, wer zu wem gehört, welche Stimmung herrscht, wie die Gruppendynamik funktioniert und wie die einzelnen Persönlichkeiten ticken. Smalltalk kratzt so sehr an der Oberfläche dessen, was ich bereits über mein Gegenüber weiß, dass ich nie einen Sinn darin sah. Aber ohne Smalltalk kommst du selten in den Deep Talk und manchmal gehört es einfach dazu, Konversation zu machen.
Wo ich wirklich Gesprächsführung gelernt habe
Anfang 2020 bin ich im Einzelhandel gelandet. Über 2,5 Jahre war ich Store Managerin im Fachhandel, habe die tollsten Kunden beraten und das beste Team der Welt geführt. Die Produkte sind beratungsintensiv. Kundentermine werden gebucht, dauern ca. 60 Minuten und verlaufen sehr individuell. So individuell, wie die Familien, die beraten werden. Jede von ihnen ist ein eigenes Gefüge unterschiedlicher Individuen und Beziehungsstrukturen, aus allen sozialen Schichten. Dieser Job war meine wahre Kommunikationsschule. Mehrmals täglich musste ich auf ganz unterschiedliche Menschen eingehen. Ich habe gelernt, auf Kommando offenherzig, bedürfnis- und lösungsorientiert, fröhlich, schlagfertig und entschlossen zu sein. Ich habe auch gelernt, mir im Gespräch Ziele zu setzen und, wenn nötig, diese Ziele innerhalb weniger Augenblicke anzupassen. Welche Methoden mir helfen, als Hochsensible im Beruf erfolgreich zu kommunizieren, verrate ich dir jetzt:
1. Fun Facts
Rede über Dinge, die du kennst und kannst. Je besser du auf ein Gespräch vorbereitet bist, desto sicherer fühlst du dich. Als hochsensible Person laufen deine Synapsen während eines Gesprächs ununterbrochen auf Hochtouren. Deine feinen Antennen nehmen nicht nur dein Gegenüber wahr, dessen Gestik, Mimik, Stimme, Wortwahl, Geruch,… sondern parallel alles, was um euch herum geschieht. Das ist dein großes Talent, aber auch eine Reaktionsbremse.
Ich finde es schwierig, mir Informationen über Personen und Themen zu merken, die mich eigentlich nicht interessieren. Also suche ich gezielt nach kontextbezogenen Anekdoten, spannenden Tatsachen und amüsanten Fakten. Zum einen kann ich mir vieles besser merken, wenn ich Geschichten und Emotionen mit Fakten verbinde, zum anderen hilft es, mein Gegenüber zum Schmunzeln zu bringen und das Eis zu brechen.
Sammle Fun Facts über Vortragende, Unternehmen, deren Mitarbeitende, den Veranstaltungsort, Lieferanten oder die Stadt, aus der dein Gegenüber kommt. Vielleicht hast du ein persönliches Erlebnis, dass du damit verbindest oder findest Gemeinsamkeiten. Wichtig: übertreibe es nicht, es reicht völlig, ein oder zwei lustige Sprüche einzuwerfen, um das Gespräch anzuregen.
Ich erinnere mich an ein Vorstellungsgespräch vor über zehn Jahren. Mein zukünftiger Chef hatte Hotel- und Restaurantmanagement studiert und jahrelange Erfahrung in der Gastronomie. Nun war er wieder in das Familienunternehmen eingestiegen und brachte eine Menge Kommunikationsskills mit. Ich kam in sein Büro während er seinen Schreibtischstuhl reparierte, an dem ihm gerade eine Rolle abgebrochen war. Während er ungeschickt daran rumhantierte, stellte er sich vor, ließ mich Platz nehmen und war dabei so sympathisch, dass jede Nervosität bei mir verschwunden war. Anschließend erzählte er mir noch, wie seine Mutter früh morgens eine Spinne vor seiner Wohnungstür einfangen musste, weil er sonst nicht hätte zur Arbeit kommen können. Es war eins der angenehmsten Vorstellungsgespräche, die ich je hatte und der Anfang einer ereignisreichen Zusammenarbeit, während der ich sehr viel lernen konnte.
2. Ziele und Zeiten
Wenn du in ein Gespräch gehst, habe immer ein Ziel vor Augen. Soweit es geht, legst du es vorab fest, alternativ nach den ersten Sätzen. Was willst du von deinem Gegenüber und durch das Gespräch erreichen? Willst du etwas verkaufen? Willst du dich, dein Unternehmen, dein Produkt präsentieren? Ein Bedürfnis stillen – deins oder das deines Gegenübers? Oder einfach Kontakte knüpfen? Das Verfolgen eines Ziels hilft dir, auf dem Weg zu bleiben und und zu verhindern, dass das Gespräch einschläft.
Bei Meetings legst du ein Zeitfenster fest. So signalisierst du dir selbst und deinem Gegenüber, wie kostbar eure Zeit ist dass sie möglichst effizient genutzt werden muss. Auch für Smalltalk kannst du dir eine Zeitspanne festlegen. Auf hochsensible Personen wirken Gespräche kräftezehrend und ermüdend. Je mehr Erholungspausen du dir zwischen den Interaktionen einplanst, desto mehr Energie kannst du aufbringen. Überlege dir höfliche Sätze und Gründe, mit denen du dich aus einem Gespräch zurückziehen kannst. Denk dran: Der erste Eindruck zählt, der letzte Eindruck bleibt. Auch das Beenden von Gesprächen kann eine Herausforderung sein.
Erhole dich nach schwierigen Unterhaltungen und langen, begegnungsreichen Tagen. Mir helfen Gartenarbeit, schaukeln, Hundespaziergänge, Bier, Reportagen, Sachbücher und beim Einschlafen meiner Kinder dabei zu sein. Womit tankst du deine Energie auf?
3. Mentale Abgrenzung
Hochsensible neigen dazu, sich so sehr in ihr Gegenüber einzufühlen, das sie in Gesprächen emotional gefangen sind. Starke Empathie ist Fluch und Segen. Wenn du einen Automatismus entwickelst, wie du dich regelmäßig erinnerst, dass die Emotionen und Probleme deiner Umwelt nicht deine sind, überträgst du diese Abgrenzung auch in deinen beruflichen Alltag. So wirst du klarer und bewusster in deiner Kommunikation.
In meinem letzten Job habe ich regelmäßig übermüdete, gestresste und nervlich belastete junge Eltern beraten. Wenn ich versuchte, eine Lösung zu finden, während sich mir gegenüber ein schreiender Säugling, ein gähnender Vater und und eine unruhige Mutter befanden, musste ich mich bemühen, ganz bei mir zu bleiben. Mein Hirn war dabei, dem Säugling beizupflichten, dass er viel zu warm und kratzig angezogen war und dass es jetzt Zeit für Schlaf und Mamas Brust war. Kinderarzt, einkaufen, Oma besuchen und dann noch zu uns in den Laden – da würde ich auch schreien. Gleichzeitig fühlte ich mich in den Vater, der das Baby nachts stundenlang getragen hatte, um dann nach seiner Frühschicht zu uns zu kommen. Und die Mama… ja, ich habe mich in meiner Schwangerschaft auch verrückt machen lassen, meine Geburten waren traumatisch und die Stillzeit anfänglich schmerzhaft. Die ersten Wochen mit Baby sind kräftezehrend. Liebe Mamas, ich fühle euch!
Ich habe mir Techniken beigebracht, wie ich mich in solchen Situationen wieder sammle, durchatme und Lösungen für jeden Einzelnen von uns finde, um auf ein Level zu kommen, auf dem Kommunikation wieder funktioniert. Manchmal hilft es, allen Beteiligten eine Pause zu gönnen, um die jeweiligen Bedürfnisse zu befriedigen (etwas trinken, zur Toilette gehen, frische Luft schnappen…) und selten muss man die Begegnung einfach vertagen.
4. Fragen, zuhören, wiederholen
Präge dir Lieblingsfragen für den Gesprächsbeginn ein, wenn es um Smalltalk geht. Oder erarbeite Fragen, mit denen du in ein Meeting gehst. Ein herausfordernder Gedanke zu Beginn eines Gesprächs hilft dir, die Aufmerksamkeit deines Gegenübers einzufangen. Als hochsensible Person spürst du direkt, was diese Frage bewirkt, ob sie Grübelei, Belustigung, Interesse, Unsicherheit oder andere Reaktionen auslöst. Nutze deine Beobachtung, um weitere Fragen zu stellen oder greife ein Stichwort deines Gegenübers auf, um Gemeinsamkeiten aufzuzeigen, Anekdoten einzuwerfen oder persönlicher zu werden. Lasse deine Gesprächspartner*innen ausreden, halte Blickkontakt und stimme hin und wieder durch Nicken zu.
Hochsensible sind perfekt darin, die Gefühle anderer zu spiegeln und das Gesagte in eigenen Worten zusammenzufassen. Nutze dieses Talent. Ein guter Freund bemerkte kürzlich, wie viel besser ich mit meinen Worten darstellen könne, was er ausdrücken möchte. Diese Fähigkeit führt häufig dazu, dass mir Mitarbeiter, Kunden, Freunde, Bekannte und andere Menschen viel Persönliches anvertrauen und sich in Gesprächen mit mir sicher und wertgeschätzt fühlen.
5. Unwissenheit akzeptieren
Als Regiehospitantin am Theater war es hin und wieder meine Aufgabe, den Sängern während der Proben ihre Texte vorzusagen. Natürlich ist es ihr Job, den Text auswendig zu lernen, aber dieser wird bis zur Premiere immer wieder überarbeitet und ist nicht selten verworren und komplex. Texthänger werden akzeptiert, dafür gibt es den wunderbaren Beruf der Souffleure und Souffleusen.
Durch meinen Charakter und meine Erziehung hatte ich mein Leben lang Probleme mit Kritik und damit, Hilfe anzunehmen. Ich konnte sie nicht annehmen, nahm sie persönlich, verteidigte mich oder blockte ab. Viele von uns haben dieses Problem und wir müssen lernen, uns von Kritik zu distanzieren, sie anzunehmen und mit ihr zu arbeiten. Mit Lob kann ich übrigens bis heute noch nicht umgehen.
Wenn du in einem Gespräch nicht weiterkommst, dir Worte fehlen oder dir die Antwort auf eine Frage nicht einfällt, akzeptiere es und sprich es offen an. Du wirkst authentisch und sympathisch, wenn du zugibst, dass du gerade auf dem Schlauch stehst. Hab nicht das Gefühl, dass du dich rechtfertigen musst. Bitte darum, das Thema zu vertagen, gebe die Frage zurück oder ziehe jemanden hinzu, der es womöglich weiß. Ich habe schon häufig erlebt, dass auch andere eine Frage nicht beantworten konnten, wodurch ich mir plötzlich nicht mehr so unbeholfen oder unwissend vorkam oder meinem Gegenüber die Luft aus den Segeln genommen wurde.
Vielleicht kannst du eine unbeantwortete Frage auch als Aufhänger für ein nächstes Treffen nutzen.
Welche Techniken hast du dir im Laufe deines Lebens angeeignet und welche würdest du gerne beherrschen?